Taschenlexikon Interkulturalität by Christoph Barmeyer

Taschenlexikon Interkulturalität by Christoph Barmeyer

Autor:Christoph Barmeyer
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783825237394
Herausgeber: Vandenhoeck & Ruprecht
veröffentlicht: 2013-05-13T16:00:00+00:00


Kreolisierung →Hybridität

Kultur

Erlerntes Orientierungs- und Referenzsystem von →Werten, →Praktiken und →Artefakten, das von Angehörigen einer bestimmten Gruppe oder Gesellschaft kollektiv gelebt und tradiert wird und sie von Angehörigen anderer Gruppen und Gesellschaften unterscheidet. Dabei gibt jede Kultur ihren Mitgliedern bestimmte Möglichkeiten, gemeinsames und individuelles Handeln zu gestalten. Kultur kann auch als „unbewusste Selbstverständlichkeit“ bezeichnet werden.

In der interkulturellen Forschung finden sich drei komplementäre Konzepte, um sich dem Kulturbegriff zu nähern. Alle beziehen sich nicht nur auf →Nationalkulturen oder Gesellschaften, sondern auf alle Formen sozialer →Systeme und kultureller Gruppen wie Organisationen, Regionen, Generationen, Berufe etc.:

1. Kultur als Interpretationssystem: Kultur besteht aus gemeinsamen und als selbstverständlich und natürlich erachteten Vorstellungen, Zeichen, Symbolen und Bedeutungen, die innerhalb einer Gruppe Eindeutigkeit, Sinnstiftung, geteiltes Wissen, zielführende Kommunikation und Kooperation ermöglichen. Sie stellt nach Geertz ein „Bedeutungsgewebe“ und „semantisches Inventar“ zur adäquaten Interpretation kommunikativen Handelns mittels Symbolen und Bedeutungsinhalten dar (Geertz 1973, Thomas 2005, Weber 1904).

2. Kultur als durch Sozialisation erworbenes Wertesystem: Durch →Sozialisation und →Enkulturation innerhalb eines bestimmten Erfahrungsraums erwirbt das Individuum in Familie, Kindergarten, Schule, Universität, am Arbeitsplatz, im Freundeskreis und in der Partnerschaft bestimmte Muster des Denkens, Fühlens und Handelns, die ein emotionales und kognitives System konstituieren und für seine Gesellschaft spezifisch sind. Sie werden unbewusst gespeichert und festigen sich als Haltungen, Lebensregeln und Werte (Hofstede 2001, Inglehart et al. 2005, Kluckhohn/Strodtbeck 1961).

3. Kultur als System zur Zielerreichung und Problembewältigung: Alle Menschen haben ähnliche, grundsätzliche Herausforderungen und Probleme zu lösen. Auch wenn eine Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten existiert, werden aufgrund von Werten, Erfahrungen und Ansprüchen bestimmte bewährte Lösungen zur optimalen Regulierung zwischenmenschlichen Handelns vorgezogen (Kluckhohn/Strodtbeck 1961, Parsons 1952). Aufgrund relativ ähnlicher Wertorientierungen entwickelte jede Gruppe oder Gesellschaft bestimmte Lösungsmuster mit besonderer Häufigkeit und Ausprägung, die für eine gewisse Kontinuität sorgen und in Institutionen verfestigt werden.

Dabei ist Kultur nicht statisch, sondern weist Veränderungen und Entwicklungen auf (kulturelle →Dynamik), etwa wenn bestimmte Lösungsmuster sich nicht mehr eignen, bestehende Probleme zu meistern und wenn es zu Wertewandel (→World Values Survey) kommt (Inglehart/Welzel 2005). Sackmann/Phillips (2004) fordern darüber hinaus ein neues Paradigma nicht kohärenter, sondern ausgehandelter und damit potentiell widersprüchlicher Kultur. Durch Individualisierung und Heterogenisierung der Gesellschaften entstehen multiple kulturuelle Bezugspunkte (→Kulturkollektiv) und poyvalente Identitäten (kulturelle →Identität), die bisherige Analyserahmen wie →Nationalkulturen in Frage stellen. Zugleich jedoch vernachlässigen radikale Ansätze der Aushandelbarkeit von Kultur häufig sozialisatorische Prozesse (→Sozialisation) und institutionelle Rahmenbedingungen (→Institutionen), die das Kulturelle auch jenseits der Frage nach kultureller Identität beeinflussen.

Geertz, C. (1973): The Interpretation of Cultures. New York, Basic Books.

Hofstede, G. (2001): Culture‘s Consequences: Comparing Values, Behaviors, Institutions and Organizations Across Nations. Thousand Oaks, Sage.

Inglehart, R./Basanez, M./Moreno, A. (2005): Human Values and Beliefs: A cross-cultural source book. Ann Arbor, University of Michigan Press.

Inglehart, R./Welzel, C. (2005): Modernization, Cultural Change and Democracy. New York, Cambridge University Press.

Kluckhohn, F./Strodtbeck, F.L. (1961): Variations in Value Orientations. Evanston, Row, Peterson and Company.

Parsons, T. (1952): The Social System. Glencoe, Free Press.

Thomas, A. (2005): Grundlagen der interkulturellen Psychologie. Nordhausen, Traugott Bautz.

Weber, M. (1904): Die ‚Objektivität‘ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis. In: Weber, M. (Hg.): Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen, Mohr, 146–214.



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